Erwachsenenbildungs-Studientag «Für eine Welt ohne Angst»

Am 16. Oktober fand der dritte Anlass unserer Veranstaltungsreihe „Weichenstellungen“ der Erwachsenenbildung für die Seelsorgeeinheit Steinerburg statt. Damit wechselte das Format vom Vortragsabend zu einem Studientag, für den wir Dr. Kuno Füssel gewinnen konnten: Mathematiker, Physiker, Theologe; nach seiner Promotion wissenschaftlicher Mitarbeiter von Karl Rahner, Herbert Vorgrimler und Johann Baptist Metz, Lehrbeauftragter und Übersetzer, schliesslich Lehrer für Mathematik, Physik und Religion. Soeben sind seine gesammelten Schriften in sieben Bänden erschienen.

 

Der Studientag hatte das Motto „Für eine Welt ohne Angst“, und so stand einleitend eine genauere Betrachtung der Unterschiede zwischen (unbestimmter) Angst, (bestimmter) Furcht und Gottesfurcht auf dem Programm. Zu letzterer empfahl Kuno Füssel eine Aufforderung von Franz von Sales: „Wir müssen Gott aus Liebe fürchten und nicht aus Furcht lieben.“

 

Zur methodischen Einstimmung erläuterte Kuno Füssel die Säulen einer materialistischen Bibellektüre – eines seiner Hauptarbeitsgebiete: 1. Lesen der Bibel aus Sicht der Unterdrückten und Leidenden, 2. Bibel als geschichtsabhängige, aktive ebenso wie aktivierende, keineswegs widerspruchslose, jedoch in einer Grundhaltung der Befreiung verfasste Literatur, 3. Bibel als bedeutungsschaffende Vermittlung zwischen den Situationen der Texterzeugung und denen der Textaufnahme, 4. Berücksichtigung der zwischenmenschlichen Beziehungen speziell unter dem Aspekt der Körperlichkeit.

 

Die von Kuno Füssel vorgeschlagenen Texte für die anschliessende Bibelarbeit sind nachfolgend zur jeweiligen Quelle verlinkt für den Fall, dass jemand ihnen ‚auf eigene Faust‘ nachgehen möchte:

Altes Testament

Im weiteren Verlauf des Vormittags gingen wir ausführlich auf den Levitikus- und den Jeremia-Text aus dem Alten Testament ein.

Neues Testament

Als kraftvolles Plädoyer für die Überwindung von Furcht und für die Vollendung des Glaubens in der Liebe hob Kuno Füssel den letztgenannten Text hervor.

Nach dem gemeinsamen Zmittag wendeten wir uns dem Neuen Testament zu. Isabelle Müller-Stewens lud uns zu einer ‚mentalen Reise‘ durch Raum und Zeit auf einem fliegenden Teppich ein. Ganz pünktlich schafften wir es nicht mehr; die ‚Speisung der Fünftausend‘ am Ufer des Sees Genezareth war soeben erfolgreich zu Ende gegangen. Aber die Geschichte geht weiter:

 

„Gleich darauf drängte er die Jünger, ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken. Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um für sich allein zu beten. Als es Abend wurde, war er allein dort. Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten Gegenwind. In der vierten Nachtwache kam er zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. Doch sogleich sprach Jesus zu ihnen und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! Petrus erwiderte ihm und sagte: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme! Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und kam über das Wasser zu Jesus. Als er aber den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst. Und als er begann unterzugehen, schrie er: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ (Matthäus 14,22-33)

 

Man stelle sich einmal vor, in dieser Situation dabei gewesen zu sein: Wie hätte man sie eingeschätzt? Welche Fragen hätten sich einem gestellt? Zunächst liessen wir die Entwicklung Sequenz für Sequenz auf uns wirken und versetzten uns in verschiedene Akteure. Danach vertieften wir die Stelle im Hinblick auf das Thema des Studientags: Woher kommt die Angst zunächst der Jünger, sodann des Petrus? Wie und auf welcher Basis soll sie überwunden werden? Wie wirkt der Text auf einen in der heutigen Situation? Was können wir trotz (oder gerade wegen) des Zeitabstandes heute aus ihm lernen?

 

Damit ging ein kurzweiliger, einsichtsreicher und frohgesinnter Erwachsenenbildungs-Anlass zu Ende, an den wir noch lange zurückdenken werden. Ganz herzlichen Dank an Kuno Füssel, der uns nicht nur an seiner grossen fachlichen Kompetenz und seiner dialektischen Grundhaltung teilhaben liess, sondern uns auch mit vielen Anekdoten aus seiner reichen Vita zu unterhalten wusste. Wir hoffen sehr, ihn noch öfters in Mörschwil begrüssen zu dürfen.

Jürgen Spickers, Pfarreiratspräsident