Prof. Dr. Arnd Bünker
Arnd Bünker: Von den Krisen des Katholizismus zu einer neuen Katholizität Herausforderungen und Perspektiven der katholischen Kirche in der Schweiz
Missbrauch, Kirchenaustritte, Reformstau machen die Mitgliedschaft in der Katholischen Kirche nicht nur in der Schweiz zunehmend unattraktiver. Im Rahmen der Erwachsenenbildung der Seelsorgeeinheit erläuterte Professor Dr. Arnd Bünker im bis auf den letzten Platz besetzten Pfarreisaal Mörschwil aus pastoralsoziologischer Sicht die aktuellen massiven strukturellen Schwächen und Mängel der katholischen Kirche in der Schweiz.
Eine zentrale Problematik kirchlichen Lebens bilden die gesellschaftlichen Kontingenzerfahrungen angesichts fundamentaler Unsicherheiten, die menschliches Leben prägen, und heute wieder schärfer wahrgenommen werden. Was gibt dem Leben Sinn? Was bedeutet der Tod für das Leben? Wie gehen wir mit unseren Grenzen um? Was gibt uns Hoffnung trotz aller Gefahren und Risiken?
Am Beispiel der Corona-Pandemie zeigte Arnd Bünker auf, dass es der Kirche nicht gelungen ist, im Wirrwarr subjektiver, individueller Wahrnehmungen der Fakten Unsicherheiten zu entschärfen und Orientierungshilfen zu geben, obwohl Kontingenzerfahrungen eigentlich zum «Kerngeschäft» von Religion und Kirche gehörten.
Bünker benannte fünf Krisendimensionen der Kirche: 1. Krise der Relevanz; 2. Krise der Institution; 3. Krise der Sozialform; 4. Krise der Sozialisation; 5. Krise der Beteiligung
Kirche hat an Relevanz eingebüsst, weil viele Aufgaben, z.B. die Versorgung der Kranken, inzwischen von zivilen Organisationen übernommen wurden. Die Institution Kirche hat durch ihre Funktionsverluste an Autorität verloren. Als Sozialform ist Kirche immer weniger gefragt. Schliesslich lassen sich Zusammenkünfte und Freizeit bestens ausserhalb der Kirche organisieren und gestalten. Die Pfarrei als Territorialgemeinde ist für viele nicht mehr der Ort, an dem Sinn- und Lebensfragen angemessen zur Sprache kommen können. Die Bedeutung religiöser Bildung wird in den meisten Pfarreien zunehmend unterschätzt oder überhaupt nicht mehr wahrgenommen.
Dies zeigt sich auch im Bereich der Katechese von Kindern und Jugendlichen. Denn schulischer Religionsunterricht funktioniert oft nicht mehr als Ort der Glaubensweitergabe. Kinder- und Jugendkatechese bieten inzwischen keine religiöse Bindungsressource mehr für das Erwachsenenalter. Gleichwohl bleibt Glaube ein lebenslanger Bildungs- und Lernprozess.
Auch innerhalb der Kirche verschwinden die Ressourcen. Die Bereitschaft von Menschen, sich in der Kirche zu engagieren, sinkt seit Jahren. Die Austrittszahlen steigen an. Hauptamtliche wie freiwillig Engagierte lassen sich immer schwieriger gewinnen. Kirchliche Arbeitsfelder finden sinkendes Interesse für Engagement.
Was sind die Folgen?
Finanzverlust, Verlust staatskirchenrechtlicher Bedeutung, interne Zersplitterung … Arnd Bünker stellte als Perspektive die Alternative auf: Identitärer Katholizismus oder Synodale Katholizität. Ein identitärer Katholizismus versucht das Bestehende zu bewahren und zu verwalten, bis nichts mehr geht. Synodale Katholizität könnte geeignet sein, auf die Krisendimensionen eine Antwort zu geben Synodale Katholizität verzichtet auf einen uniformen Katholizismus mit gleichen Vorgaben für alle und sucht Vielfalt und setzt auf Dialog. Synodale Katholizität kennt viele Zugehörigkeitsformen und schafft verschiedene Nähe-Distanz-Angebote. Sie geht von lebenslangem Glaubenlernen aus. Es geht um die lebenslange Einladung von Menschen, ihren eigenen Weg mit dem Evangelium zu finden und zu gehen. Arnd Bünkers Fazit klingt einfach und ist doch so anspruchsvoll: Kirche wird immer neu, wo Menschen sich auf je ihre Art mit dem Evangelium in ihrem Leben auf die Reise machen.
Die anschliessende Diskussion offenbarte einen enorm grossen Gesprächsbedarf. Viele waren überrascht, wie dramatisch die personelle Situation in der Kirche und damit auch im Bistum St. Gallen schon in den nächsten Jahren sich verschärfen wird.
Es fehlt an fachlicher theologischer und pastoraler Kompetenz, um Gemeindebildung unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zu gestalten. Der Priestermangel ist wohl das geringste Problem, vor allem wenn sich die Zulassungsbedingungen änderten.
Beim abschliessenden Apero hatten die Zuhörerinnen und Zuhörer Gelegenheit, mit Arnd Bünker persönlich ins Gespräch zu kommen oder Eindrücke und Erfahrungen miteinander auszutauschen.